Heute möchte ich eine interessante und amüsante Entdeckung teilen, derer ich auf Balkonien Zeuge geworden bin. Diese Geschichte handelt von Wespen, die – wären sie Menschen – mit dem Wort ‚stockbesoffen‘ gut beschrieben wären.
Ich sitze auf dem Balkon und staune über einige Haus-Feldwespen, die scheinbar mehr mit der Schwerkraft zu kämpfen haben als sonst. Sie torkeln, sie stolpern, sie fliegen krachend gegen Blätter oder fallen einfach um. Schnell steht die Hypothese im Raum: Sind diese Tiere etwa besoffen? Doch es steht kein alkoholisches Getränk herum, denen sie auch wieder entstiegen sein müssten.
Die Haus-Feldwespe
Die Haus-Feldwespe ist die wohl friedliebendste Wespenart in unserer Gegend. Sie folgte, wie auch die Holzbiene, dem wärmeren Wetter bis in unsere Gefilde nach Norden. Diese liebe Wespenart ist recht gut an den herabhängenden Beinen und den gelben Fühlern erkennbar. Diese Wespen stechen eigentlich nicht, wenn man sie nicht direkt angreift. Ihr Nest liegt offenbar in der Nähe unter dem Ziegeldach und im Sommer erfreuen sie sich an dem reichen Pflanzenangebot des Balkons.
Kurz zur Passionsblume
Eine der sehr beliebten Pflanzen ist eine Passionsblume. Es ist aber nicht diese Passionsblume, die eine essbare Maracuja hervorzaubert. Die Passionsblumen bilden eine artenreiche Pflanzengattung. In diesem Fall war es die Blaue Passionsblume, eine Kletterpflanze. Sie zu kultivieren ist nicht schwer, da sie hart im Nehmen ist. Sie kann nur keine Kälte ab und sie braucht viel Wasser. Ihre Blüten, deren Ursprung in Südamerika liegen, erinnerten die christlichen Migrant*innen an die Passion Christi. Und was nicht passend war, wurde passend gemacht: Die zwölf Apostel sah man in den zehn Blättern, indem man Judas und Petrus herausrechnete. Die sternförmig angeordneten Blütenblätter sollen den Dornenkranz darstellen. Der rotgepunktete Aufsatz symbolisiert die Nägel und die fünf Stempelausprägungen stehen für die fünf Wunden Jesu. Also mit viel Fantasie, die vielleicht auch bei den Insekten wirkt?
Die Quellen des Rauschs bei der Passionsblume
Die fünf Stempel der Passionsblume zeigen nach unten. An ihrem Ende ist der Blütenstaub, der offenbar eine der Quellen für den Stoff ist, den die Wespen so sehr lieben. Aber die Blüte bildet auch kleine Tropfen an einigen Stellen aus, die in der Sonne glitzern. Diese Tropfen enthalten offenbar auch den berauschenden Wirkstoff, denn die geflügelten Insekten laufen alle Blätter und Stängel der Kletterpflanze ab, um sie zu ernten. Den Kopf und die Fühler nach unten gerichtet, entgeht ihnen kein Depot. Bei Begegnungen mit Artgenossen flüchtet sich eine Wespe auf eine entlegenere Position. Sonst steht Zoff ins Wespenhaus.
Die offenbar beste Quelle dafür befindet sich in der Passionsblume selbst. Hat sich eine geöffnet, begeben sich die Wespen in die Blütenfedern. Sie suchen den ganzen Boden der Blüte ab, doch das gute Zeugs hängt am Stempel von oben. Dafür sind die Wespen zu klein und den Schwebeflug beherrschen sie nicht. Um diese Quelle anzuzapfen, krümmen sie ihren Rücken wie eine Katze. Sie kratzen den Blütenstaub mit den Flügeln ab. Dann schaben sie den berauschenden Saft ab und führen es sich oral zu.
Weder die Menge noch die Dauer bis zum Erreichen des vermuteten Glückszustands ist mir bekannt. Doch die Auswirkungen lassen sich mit bloßem Auge gut beobachten. Die Feldwespen starten mit einem wackeligen Flug, der auch schon mal auf einen direkten Abfangkurs zu einem Blatt geht. Das hat ein Abprallen und eine kurze Desorientierung zur Folge. Die Insekten sind zu leicht, um durch das Herunterfallen einen ernsthaften Schaden davon zu tragen. Wenn sie dann einen Landeplatz erreicht haben, scheinen die Beine zu versagen. Die Wespen fallen richtiggehend um. Dann sieht man sie auf den Blättern niedersinken, als würden sie schlafen wollen. Ob glücklich oder nicht, lässt sich schwer beurteilen.
Es kann nur einen geben! Wespenkampf um die Ressource
Doch unter Wespen herrscht eventuell Futterneid und der nimmt womöglich zu, wenn die kleinen Tierchen alle zeitgleich in der Blüte herumtollen. Dann kommt es zu einem Gerangel. So steht es in den Chroniken der Feldwespen Berlin-TKS, dass eine der Wespen auf der Blüte stand und alle heranfliegenden Artgenossen mit einem Stoß abwehrte. Man fühlte sich unweigerlich an Bud Spencer erinnert, wie er einen ‚Rundumschlag‘ verteilt. Vielleicht war das ein Spiel unter Wespen? Vielleicht der Futterneid? Vielleicht eine Art Drogensucht? Ein Alkoholismus? Die abgewehrten Wespen bezogen ihre Position auf den umliegenden Blättern in Sichtweite der geöffneten Blüte. Sie lauerten offenbar auf eine Gelegenheit, einen neuen Versuch zu wagen. Und so kam die Wespe, die die Blüte verteidigt, kaum dazu, nach dem begehrten Saft zu suchen. Zwar gehen die Feldwespen anderen Wespenarten aus dem Weg, jedoch nicht, wenn es um die Sicherung der Passionsblüte geht.
Manche suchen erst gar nicht das Weite und versinken noch in der Blüte in Insektenmorpheus‘ Armen. Doch die Blüte schließt sich nach etwa 24 Stunden wieder. Eine der vielleicht betrunkenen Wespen lag wohl schlafend in ihr, als sie sich zu schließen drohte. So wurde sie das letzte Mal gesehen. Irgendwie musste sich die Wespe aber gerettet haben, denn die Blüte fiel eines Tages leer herab.
Auch andere Wespen sah ich schon daran, aber glücklicherweise hat es auf die unangenehmen Wespenarten nicht den anlockenden Effekt. Auf den Menschen hat die Passionsblume übrigens ebenfalls eine beruhigende Wirkung, die sich zusammen mit Johanniskraut potenziert.