Die Legende der Weißen Frau, ist die Legende der Schönen Gießerin. Es gibt verschiedene Varianten dieser Geschichte, die in Kombination hier wiedergegeben seien. Und die markierten Stellen sind frei erfundene Hinzufügungen, die der Geschichte für die Gegenwart mehr Grusel gönnen sollen.
Seit sieben Jahren herrschte der Kurfürst Joachim II von Brandenburg über dieses Land. Es war das Land seines Vaters, das mit dessen Tod in seine Regierungsgewalt fiel. Doch Joachim II war kein Kind von Traurigkeit. Er nutzte seinen Status und die Staatseinnahmen für ausschweifende Feste. Überall im Lande baute der Kurfürst neue Jagschlösser. Es ist wohl das teuerste Hobby in des Herrschers Etat, das jenes seines Vaters deutlich überstieg. Der oberste Lehnsherr jagte aber nicht nur das liebe Wild, er stellte auch den Frauen nach.
Ein neues Schloss muss in die Teltower Heide beschloss der Kurfürst. Es soll am Spielsee entstehen, verfügte er wohl wissentlich, dass das die Kassen ordentlich schröpfen würde. Doch der Kurfürst war kein Sparfuchs. Er ordnete ein Schloss im Stil der Zeit, im Stil der Florentiner an, was für ihn erbaut werden sollte. Ein Wasserschloss mit vielen Zimmern. Der Adel von Spiel wusste, er bekäme dafür klingende Münze.
Dann klopfte es bei Spiels an der Tür. Eine alte Frau, sie schien im Wald zu leben, bat darum, das Land nicht zu verkaufen. Den Grund allein nannte sie nicht. Der Adelsmann winkte ab und bat, bald drohte er, sie solle sein Land gefälligst verlassen. „Sieben Jahre Glück, es werden 700 Jahre Pech. Ein Unfall markiert den Eingang zu dieser unheilvollen Passage, so soll es sein. Und Ihr“, erwähnte die alte Frau zuletzt, „Ihr werdet aus der Welt vergessen sein“. Der Fluch war ausgesprochen und in der Welt – bereit, sein Unheil zu vergießen.
Als ein Zeichen des Schicksals mit den Grundzügen einer ausgewachsenen Drohung, röhrte der späte Brunftruf durch die schwere Luft. Aus dem Nichts rannten zwei Hirsche aufeinander zu. Unter dem Gejaule der Hirschkühe begannen sie ihren Kampf. Und bereits eine Stunde dauerte es an, da verkeilten sich die beiden Geweihe so stark ineinander, dass der lange Hungertod seinen Lauf nahm. Jede Bewegung der unentwirrbaren Geweihe förderte die Erschöpfung bis zum Tode, sodass sie an diesem Platz, am südöstlichen Ufer des Sees, ihre Leben aushauchten.
Wie zum Beweis begannen die Bauarbeiten am Jagdschloss Grunewald sieben Jahre nachdem Joachim II zum Kurfürsten wurde. Und wieder sieben Jahre später gastierte das kurfürstliche Ehepaar in Grimnitz zum Jagen und residierte im dortigen Jagdschloss. Eines Tages, die beiden Eheleute betraten die Hofstube, war ein unheiliges Knirschen zu vernehmen und ehe es sich der Kurfürst und seine Frau versahen, brachen sie durch die Decke. Der Kurfürst mit seinem Wanst blieb stecken. Seine Gemahlin Hedwig stürzte in das darunterliegende Zimmer, wo die Trophäen der kurfürstlichen Jagden hingen. Nicht nur der Schenkel war gebrochen, auch einige der spitzen Hirschgeweihe rammten sich beim Sturz in Hedwigs Unterleib. Dicke Blutstropfen spritzen durch den Raum. Hedwig schrie vor Pein, während immer mehr des Bluts aus ihrem Körper floss. Als der Schock verblasste wurde klar, Hedwig würde nie mehr richtig gehen können. Schmerzen begleiteten sie auf Schritt und Tritt. Das gereichte dem Kurfürsten nicht zur Freude und er klagte öffentlich, es täte dem kurfürstlichen Ehegenuss als auch dem Jagdvergnügen Abbruch.
Noch in Grimnitz fand der Kurfürst seine neue Liebe. Anna Sydow. Eine Schönheit war sie, die Tochter des Geschützgießers Dietrich. Es begann eine Liasion zwischen Anna Sydow und dem Kurfürsten Joachim II in völliger Verachtung der Tatsache, dass sie bereits vergeben und verheiratet war. Als Mätresse des Kurfürsten zog sie ins Jagdschloss Grunewald, wo sie den Großteil ihres wohlhabenden Lebens verbrachte.
„Der gnädige Herr selbst hält sich die Konkubine zur Frau? Unrecht! Er darf das und wir nicht?“, klagten viele Männer im brandenburgischen Land. Und wie es in Preußen schon immer üblich war, fand sich ein Spottname für die Pompadour: ‚Die schöne Gießerin‘.
Aus der Verbindung ging auch eine Tochter hervor, die später in den Grafenstand erhoben wurde. Doch die Geliebte des Kurfürsten traf nicht in der ganzen Adelsfamilie auf Gegenliebe. Die Logik des mittelalterlichen Erbrechts wollte es, dass ein jeder Spross dem Anderen die Existenz nicht gönnt. Joachim II ließ sich von seinem Sohn und Erben versichern, er würde Annas Leben schützen. Im Glauben daran, verstarb Joachim II von Brandenburg 1571 bei einem Jagdausflug – wie konnte es auch anders sein?
In den ersten Januartagen anno 1571 übernahm sein Sohn Johann Georg von Brandenburg die Regierungsgewalt. Entgegen seines wiederholten Eids die Konkubine des Kurfürsten zu verschonen, ließ er sie sofort der Erpressung anklagen und warf sie in den Kerker der Zitadelle Spandau. Bei Geld endete der Spaß für Johann Georg, aber im justiziablen Feld war genug Platz dafür. Um die klammen Kassen des hedonistischen Vaters zu konsolidieren, griff er hart durch. Er ließ die Günstlinge aus seinem höfischen System entfernen und entfachte ein Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung, die sein Vater erst ins Land holte. Beiden stand in der Judenfrage das Finanzielle ins Gesicht geschrieben.
Der Sparzwang des neuen Kurfürsten löste bei den Untertanen keine Begeisterung aus. Mit dem Pogrom wurde auch in der Gesellschaft das Leben feindlicher. Zwar waren die Schuldscheine mit den Juden weg, doch das böse Gefühl, die Schreie, die Verzweiflung der Kleinen, das bekamen viele nicht mehr aus dem Kopf. So stürzte man sich auf die Verfehlungen der Herrschenden.
Unter dem moralischen Aufhänger murrten nicht wenige, dass der neue Kurfürst Johann Georg doch das Versprechen an seinen Vater, den ehemaligen Kurfürsten brach. Die Geliebte des Vaters des neuen Regenten überlebte die beinkranke Mutter um vier Jahre, wenn auch nur um das traurige Dasein im Gefängnis zu fristen. Geknechtet und entrechtet verstarb Anna Sydow, die Schöne Gießerin, am 16. November 1575. Doch vergessen war sie deshalb nicht. Im Gegenteil. Aus dem Murren wurde ein Aufschrei. Sie avancierte durch ihr Martyrium zu einer Bekanntheit und mit ihr verknüpfte man so manches Schicksal. Brandenburg haderte mit der Fügung, da der alte Kurfürst vom eigenen Sohn belogen wurde. Ohne, dass es der Staatskasse zuträglich war, ließ er die arme Anna Sydow ins Gefängnis werfen. Frevel witterte das Volk und fühlte plötzlich mit der schönen Gießerin, in dessen Genuss sie lebend nicht mehr kam. Es hätte andere Wege gegeben damit umzugehen, verzieh man dem Kurfürsten das Vorgehen nicht. Die Volksseele johlte angesichts des Eidbruchs nach Gerechtigkeit. Was konnte man Anna schon vorwerfen? Sie gehorchte dem Kurfürsten, nur der Sohn nicht. Wo verblieb die Leiche der armen Frau? Der Kurfürst, so spekulierte die Gosse lauthals, hat sie vom Leben zum Tode befördert. In der Wand des Eckflügels im Westteil des Jagdschlosses Grunewald, wo die Treppe dem Turm hinauffolgt, dort wurden ihre Gebeine vermauert. Der Beweis dafür waren nicht aufgefundene Knochen, kein Geständnis eines Helfers oder des Kurfürsten selbst – es waren die geisterhaften Erscheinungen, die sich zur Mitternachtszeit dort abspielten. Manchmal bemerkten die Bediensteten eine Präsenz im Westturm. Und einige schworen bei allen Heiligen, dass sich ein Geist herumtreibe. Eine Weiße Frau mit Haube und Witwenschleier konnte zur Geisterstunde beobachtet werden, wie sie durch das Schloss ging.
Wessen ruheloser Geist könnte sich hier herumtreiben? Es konnte nur einen Namen als Antwort auf die Frage nach der Weißen Frau geben: Anna Sydow. Sie gierte nach Rache, ob der Dinge, die man ihr antat.
Manches Mal, bevor der Hofstab eintraf, begaben sich seltsame Dinge in den Mauern des Schlosses Grunewald. Es gab ungewöhnliche Geräusche, die man trotz längeren Überlegens nicht einordnen konnte. In einem Raum stand eine Tür offen, die eigentlich immer geschlossen war. Andere Türen schlossen sich bei völliger Windstille von selbst. Einige Bedienstete schworen, es klänge wie Ketten, derer sich Anna durch den Tod befreite oder waren es die Schlösser die von Geisterhand betätigt wurden?
Der Racheengel aus dem Grunewald machte dann in den ersten Januartagen des Jahres 1589 dem Kurfürsten von Brandenburg, Johann Georg ihre unerwartete Aufwartung. In den herrschaftlichen Gemächern lag der hochbetagte Johann Georg in seinem Bett. Etwas weckte ihn, denn eine unfassbare Gestalt schlich sich in seine Räumlichkeiten. Das Herz begann zu pochen, schon als er beim Augenöffnen nur die Umrisse dessen wahrnahm, was sich da abspielte. Das konnte kein Wesen Gottes sein. Eine unnatürliche Erscheinung in weißem Gewand und mit Haube erfüllte den Raum. Der Witwenschleier schien im Wind zu flattern, obwohl kein Lüftchen das Schlafgemach erfüllte.
Wie vom Schlag getroffen, erkannte er die Geliebte seines Vaters Anna Sydow unter der weißstrahlenden Haube. Mit hassendem Gesicht und einem fühlbaren Schrei fuhr sie an sein Bett heran. All die Vorwürfe, derer er sie fälschlicherweise angeklagt hatte und die flehenden Augen, als er die Bitten um Entlassung ignorierte, all die Verzweiflungsrufe – alles schoss augenblicklich aus dem Gedächtnis hervor und drängte in sein Bewusstsein. Das schlechte Gewissen übernahm sein ganzes Wesen, das nach Vergebung plärrte. Doch dergleichen würde er nicht hören. Die Weiße Frau verkündete dem Kurfürsten, dass seine Seele in sieben Tagen ihr gehören werde. Dann nämlich, wenn sich sein Geist vom Körper abtrenne, würde sie auf ihn warten, um seine Seele in Empfang zu nehmen. Für die Dauer ihres Fluchs werde er eine gute Ewigkeit als ihr Gefangener verbringen. Sie war auch in diesen Zauber unschuldig geraten, aber in diesem Augenblick genoss sie ihre Macht.
Die Weiße Frau erschien bald in anderen Herrschaftssitzen des Hauses Hohenzollern, aus dem die Kurfürsten stammten. In vielen Schlössern und alten Burgen wurden die Menschen Zeugen ihrer Gegenwart. Wem sie erscheint, dem wird nichts Gutes widerfahren, besonders wenn die Weiße Frau schwarze Handschuhe trug, ging es den Menschen an den Kragen. Im Jahr 1666 warf sie wieder ihr rachelüsterndes Licht auf das Jagdschloss Grunewald. Es war der Oberstallmeister, der sich lästerlich über sie äußerte. Er spottete, dass der Kurfürst wohl Gelüste für den Geist zeige, der da auf dem Jagdschloss umherwandere. Wie er diese Worte sprach, ging er zur späten Stunde die Treppen hinauf zum Turm. Mit einem Mal stand die Weiße Frau vor ihm. Er erschrak, doch er fürchtete sich nicht. Sein Schild war der Spott und so feuerte er ihr entgegen: „Hast Du noch nicht ausreichend Blutzoll gefordert, brauchst wohl noch mehr?“
Einer Furie gleich packte sie ihn am Hals und warf ihn die Treppen hinab. Ob gewollt oder nicht, er überlebte den Sturz mit gebrochenen Rippen und einer Vielzahl an Blessuren am Leib. Der Krach war so laut, dass sich der Kurfürst erkundigen ließ, wer den Zinnober verursache. Im Jahr darauf zeigte sie sich Luise Henriette. Die Gemahlin des Kurfürsten warnte sie vor dem Tod ihres Mannes. Als sie ein weiteres Mal im Jahr darauf erschien, starb der Kurfürst tatsächlich. Unter dem Nachfolger, der inzwischen zum König von Preußen aufgestiegene Friedrich I. wurde das Schloss umgebaut. Mit Grausen fand man dort eingemauert, das Skelett einer Frau. Gemäß den Vorstellungen der Zeit wurde beschlossen, die sterblichen Überreste, die man Anna Sydow zuschrieb, im Jahr 1709 in heiligem Boden der Dorfkirche zu beerdigen. Ein Herrscher behauptete, er habe sich durch eine Wache festnehmenlassen. Wäre es doch nur so einfach? Bei allen Geheimnissen der Kurfürsten, es gelang damit nicht, die untote Seele der Geistererscheinung zu befrieden. Vier Jahre darauf erschien sie abermals zum Tod des Königs Friedrich I. und noch immer sich im Jagdschloss Grunewald zur nullten Stunde zeigen.