Im Grunewald gibt es einen sonderbaren Friedhof, dessen Entstehung mit dem Leid der geplagten Seelen zusammenhängt. Der Friedhof Grunewald-Forst ist auch als der Friedhof der Namenlosen bekannt. Hier haben Selbstmörder*innen eine letzte Ruhestätte gefunden.

Der Friedhof ist nur schwer zu finden, und das war auch Absicht, was mit seiner Bestimmung zu tun hatte. Der Friedhof der Namenlosen nahm im Jagen 135 im 19. Jahrhundert seinen Anfang. Beim Besuch des einsamen Friedhofs ist man meist allein. Nur eine kleine schwarze Katze, die über den früher umstrittenen Friedhof huscht, stört die traurigen Seelen der verunfallten und selbstgerichteten Verstorbenen.

Geschichte des Friedhofs Grunewald-Forst

Inmitten des Grunewalds liegt ein Friedhof, der den verbannten Seelen vorbehalten war. Der Selbstmordfriedhof, wie er im Volksmund genannt wurde, war aus der Not geboren. Immer wieder gab es Menschen, die versehentlich in die Havel fielen und ertranken. Es gab aber auch jene, die absichtlich ins Wasser gingen. Ihre Leichen flossen den Fluss hinab in Richtung Süden. Doch dort, wo die Halbinsel Schildhorn in die Havel ragt, blieben viele Leiber hängen. Die Strömung entließ sie an der Stelle ihrem nassen Grab. Die Ertrunkenen wurden regulär beerdigt, aber das Schicksal der Leichname der Frauen und Männer, die den Freitod gewählt hatten, war auch nach dem Tod dornig. Die Kirche verweigerte diesen Seelen eine ehrenvolle, eine christliche Beerdigung. Die Pastoren argumentierten, dass auch Selbstmord ein Mord sei. In dieser Zeit gab es keine weltlichen Beerdigungen, das oblag gänzlich der Kirche. Wer sich aus freien Stücken das Leben nimmt, so war es kirchliche Sitte, sei das Begräbnis zu verweigern. Was also tun mit den angespülten Leichen? Da waren sie in des Försters Hand.

Im Jahr 1878 entschloss man sich, einen Friedhof für diese armen Seelen zu errichten. Eine einzigartige Einrichtung im damaligen Reich, die die Forstverwaltung des Grunewalds damit etablierte. Die Auswahl des Platzes fiel auf eine Lichtung im tiefen Grunewald, der damals noch königliches Jagdrevier war. Mit einem Holzkarren wurden die leblosen Körper an diese Stelle gezogen, wo sie der Muttererde zurückgegeben wurden. Wer die Menschen, die hier ihre letzte Ruhe fanden, waren und warum sie das taten, blieb zunächst ihr Geheimnis. Daher erhielt der Friedhof auch den Beinamen Friedhof der Namenlosen. Um nicht ein Anlaufpunkt für jene zu werden, die sich selbst das Leben nehmen wollten, behielt man den Standort und die Vorgänge gerne im Geheimen.

Schwarze Katze Selbstmörderfriedhof Grunewald
Schwarze Katze Selbstmörderfriedhof Grunewald

Mit den Jahren wuchs der Friedhof an, da es sich herumsprach, dass man hier ein ehrenvolles Begräbnis bekäme, selbst wenn man den Freitod wählte. Im Jahr 1911 baute man eine Leichenhalle auf dem Gelände, die heute nicht mehr existiert. Mit der Etablierung von Groß-Berlin wurde auch der Grunewald zu einem Stück der Metropole. Dort war es vorgeschrieben, dass es auch nicht-kirchliche Friedhöfe geben muss. Ab dann konnten auch die Selbstmörder*innen der Havel ein Begräbnis erhalten. Dennoch wurde der Friedhof bis 1927 als ‚Selbstmörder-Friedhof‘ genutzt. Im Jahr darauf wurde der Friedhof mit einer Steinmauer eingefriedet und erstreckt sich nun auf annähernd 5.000 Quadratmeter Fläche. Das Eingangstor, das wegen der Wildschweine stets geschlossen sein muss, hatte Richard Thieme angelegt. Die Toten des Aprils 1945, die schnell unter die Erde gebracht werden mussten, wurden ebenfalls auf diesen Friedhof umgebettet.

Am Eingang befindet sich eine Karte mit den Grabnummern, denn es fand auch die prominente Nico hier ihre letzte Ruhe im Grab Nummer 82. Nico alias Christa Päffgen war Sängerin bei Velvet Underground. Ihretwegen pilgern ihre Fans immer wieder zu dem Friedhof im Grunewald. Auf ihrem Grab stehen regelmäßig Dinge der Erinnerung.

Hier liegen außerdem der Gräberforscher Willie Wohlberedt, der Oberförster Willi Schulz und der Maler Immanuel Meyer-Pyritz sowie auch der Schriftsteller Clemens Laar begraben. Letzterer hat 1960 Selbstmord begangen. Des Weiteren finden sich Gräber von russischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs und eben vielen Unbekannten.

2018 wurde das Ende des Friedhofs beschlossen, das nach 20 Jahren – 2038 – in Kraft tritt.

Archiv der Selbstmörder

Ein Fluch ruhte über dem irdischen Dasein der hier Begrabenen, ruhte über ihrer letzten Stunde, er ruht auch über ihrer letzten Ruhestätte.“ Quelle

In einer Lokalzeitung des Jahres 1900, aus der auch das Zitat ist, wird berichtet, dass es ein wenig gepflegter Gottesacker sei, der nur wenige Menschen anziehe. Es sei still und den Gräbern werde nicht gedacht. Pfähle mit Stacheldraht sorgten für die Ruhe der Toten. Der Eingang sei eine wacklige Tür aus Brettern gewesen. Die Gedenksymbole waren lieblos aufgestellt worden, die Kreuze bestünden oftmals nur aus zusammengebundenen Stöcken. Mit dem Beitrag in der Lokalzeit geriet der düstere Ort ins Licht der Öffentlichkeit, was seine Geschichte fassbarer macht. Die Geschichte des Friedhofs der Selbstmörder zog damit auch Neugierige an.

Der erste dokumentierte Selbstmörder, der den letzten Weg zum Friedhof gebracht wurde, war ein 22-jähriger Schlossergeselle. Er wurde am 22. Januar 1900 beerdigt. Das gelangte auch an jene Ohren, die derartige Todesfälle im eigenen Kreis hatten. Sie baten den Oberförster des Grunewalds darum, diesen Menschen eine letzte Ruhestätte zu geben. Ungewiss der Antwort des Försters kamen die Menschen zum Teil aus weiter Entfernung, um ihre Toten hier zu beerdigen.

Einige vorsorgliche Lebensmüde wählten den Grunewald als Ort ihres Todes. Sie hofften darauf, dass ihre sterblichen Überreste den Weg zum Friedhof finden würden. Um das zu vermeiden, unterließ die Försterei die Preisgabe des Standorts. In alten Karten ist der Ort als Kirchhof eingezeichnet, was ihn als Friedhof der Selbstmörder ausschloss – denn die Kirche beerdigte keine Selbstmörder und das war das Problem. So wählte manch Mensch, dem die Lebenslust abhandenkam, den Grunewald als Ort des Übergangs, um den Hinterbliebenen weiteres Leid zu ersparen. In ihren Abschiedsbriefen wiesen sie auf den Ort hin. Wie viele Seelen sich hier das Leben nahmen, ist heute nicht mehr zu beziffern. Nur einige Schicksale sind überliefert worden.

Fünf Kreuze finden sich gleich am Eingang des Friedhofs, die durch eine besondere Form und kyrillische Schriftzeichen auffallen. Dabei handelte es sich um fünf Russen, die im Laufe von zwei Jahren an den Ufern der Havel angespült wurden. Ihnen war offenbar gemein, dass sie den Untergang des Zarenreichs und den Sieg der Bolschewiki nicht verkrafteten und sich daher das Leben nahmen. Ihre Leichname wurden aus der Havel geborgen und hier beerdigt.

In der Kaiserzeit waren Frauen fast ganz entrechtet. Als arme Frau war man als Magd tätig und war damit den Launen und Drängen des Herrn völlig ausgeliefert. Die Vergewaltigungen waren weniger selten als üblich. Die Schwangerschaften bedeuteten für die Dienstmädchen den sozialen und finanziellen Absturz. Nicht wenige suchten den Ausweg im Selbstmord und kamen dafür in den Grunewald gefahren.

Im Jahr 1919 wählte die Krankenpflegerin Minna Braun den Grunewald als Ort ihres Todes. Sie kam kurz vor Halloween am 28. Oktober den weiten Weg aus Pankow hier her. Sie setzte sich in der Nähe von Schildhorn an die Havelchaussee hin und nahm im zarten Alter von 23 Jahren eine Überdosis Medikamente zu sich. Ihr scheinbar lebloser, aber sitzender Körper wurde von einem Kraftfahrer aufgefunden. Ein Arzt wurde gerufen, welcher ihren Tod feststellte. Er notierte, dass weder Puls noch Herz noch Atmung vorlägen. Es war wohl Selbstmord, wurde diagnostiziert, und tatsächlich fand sich ein Abschiedsbrief von ihr, in dem sie angab, den Liebeskummer nicht mehr zu ertragen. Die Polizei brachte Minna Braun zum Selbstmörderfriedhof, wo sie in einen Sarg gelegt wurde. 14 Stunden später wurde der Sarg durch die Polizei erneut geöffnet, um die Identität der Toten zu klären. Dabei bemerkten die Kriminalbeamten, dass die vermeintliche Tote noch unter den Lebenden weilte. Derselbe Arzt konstatierte nun Herztöne und Lebenszeichen und ließ sie ins Krankenhaus Lichterfelde überstellen, wo sie Stunden später aus ihrem scheintoten Zustand erwachte.

Scheinbar vom Glück verfolgt, entließ man die junge Frau in ihr Leben. Drei Jahre später, wieder in der Zeit um Halloween, fand man sie wieder in der Nähe des Selbstmörderfriedhofs. Wieder fand man einen Abschiedsbrief, wieder war Liebeskummer der Grund für den Selbstmord. Doch dieses Mal leistete der Arzneimittelcocktail ganze Arbeit. Sie wurde als Unbekannte auf dem Selbstmörderfriedhof beigesetzt. Wo sich ihr Grab befindet, ist heute unbekannt.

Die tragischen Toten vom Friedhof der Namenlosen

Heute haben viele Tote auf dem Friedhof einen Namen, aber dennoch ist ihr Tod nicht weniger traurig. Eine Stelle in der Nähe der blauen Bank beherbergt die sterblichen Überreste von fünf Kindern, die jeweils nur drei Jahre alt wurden. Sie starben gemeinsam bei einem Brand in einem Kinderladen 1975, kurz vor Weihnachten am 23. Dezember.

Eine ebenfalls dramatische Fügung musste der Dichter und Schriftsteller Georg Heym auf der Havel erfahren, weshalb auch er sich unfreiwillig kurzzeitig auf dem Friedhof der Namenlosen einfand. Der Lyriker des Expressionismus Heym nutzte die gefrorene Havel bei Lindwerder, um sich zusammen mit einem Freund am Eislaufen zu erfreuen. Der Freund, Ernst Balcke, fuhr aus Versehen in ein geschlagenes Eisloch und fiel unglücklich mit dem Kopf auf, sodass er bewusstlos in den Tiefen der Havel versank. Heym wollte ihm helfen und brach selbst im Eis ein. Eine halbe Stunde lang rief er um Hilfe, wie Waldarbeiter später zu Protokoll gaben. Er ertrank im kalten Wasser der Havel und wurde erst vier Tage später gefunden. Mit einem Holzkarren wurde er kurzfristig auf dem Friedhof im Grunewald gebracht, wo er in der Leichenhalle aufgebahrt wurde. Später wurde er auf dem Evangelischen Luisen-Kirchhof III in Berlin bestattet.

Und Georg Heym schrieb auch ein Gedicht über einen Friedhof, der aus dem Werk Berlin VIII stammt:

Ein tragischer Tod, fand

Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein,

Die Toten schaun den roten Untergang

Aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein. Quelle

Wo befindet sich der Friedhof?

  • Havelchaussee 92B
  • 14193 Berlin
  • GPS: 52.492668271229824, 13.210401734757738

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