Diese Geschichte führt zurück in die wilden 20er Jahre, in die Anfänge des modernen Deutschlands. Sie streift den wohl berühmtesten Strafverteidiger der Weimarer Republik, seinen Sensationsfall – der erste Serienmörder Deutschlands – und seine dramatische Flucht vor den Nazis.

Erzählt in Zusammenarbeit mit Günter Duwe, dem Teltower Stadtforscher.

Wer sich mit der Weimarer Republik beschäftigt, kommt nicht an ihm vorbei: Erich Frey war vielleicht der bedeutendste Strafverteidiger seiner Zeit. Er verteidigte die richtig schweren Jungs und zu seinen Klienten zählten auch angeklagte Kriminalbeamte, die von der Schusswaffe Gebrauch machten. Wenn der Staat die Zeche übernahm, wurde nur kärglich bezahlt. Aber Frey war Spitzenverdiener. Er konnte sich eine Villa in Teltow leisten. Sein Prozess um Deutschlands ersten Serienmörder, Friedrich Schumann, war ein Medienereignis besonderer Art.

Auf die Spur dieser Geschichte brachte mich Günter Duwe, der interessante Details zu den Vorgängen hinzufügte. Duwe gründete unter anderem den Teltower Heimatverein, den Rübchenverein und er recherchiert zur Geschichte der Stadt Teltow.

[Erst ab 18 Jahren. Triggerwarnung: Beschreibungen von Gewalttaten]

Morde in den 1920er Jahren

Berlin war in den 1920er Jahren ein Ort zwischen dem Glitzer der goldenen Unterhaltungsindustrie und der Gewalt und der Armut, die den größten Teil der Bevölkerung fest im Würgegriff hatte. Diese Faktoren begünstigten Berlin als Hauptstadt des Verbrechens, die es zweifellos war. Die Straftaten wurden sowohl von Einzeltätern als auch der organisierten Kriminalität ausgeübt.

In Berlin verbündeten sich die Straffälligen zu mafiösen Ringvereinen zusammen, die teils mit blumigen Namen daherkamen – darunter Immertreu, Apachenblut oder Libelle. Diese Ringvereine organisierten das Kriminelle von Raub bis zur Prostitution und kümmerten sich um die Familien der Einsitzenden. Alle wussten von ihnen, doch ermangelte es einer Handhabe. Es gab zwar immer wieder Razzien und Gerichtsprozesse, doch viele Kriminelle hatten mit dem Ringverein eine gute Rückversicherung. Man gab sich gegenseitig Alibis, übte Druck auf die Zeugen und Zeuginnen aus und nicht zuletzt hatte man die besten Strafverteidiger der Stadt. Dazu zählte auch der Rechtsgelehrte Dr. Dr. Erich Frey.

Der spektakuläre Griechenmord im Grunewald ist nur ein kleiner Kriminalfall in der wildesten Zeit Berlins, die sich auch durch die immer unkontrollierbarere Kriminalität entwickelte. Berlin war nicht nur ein heißes Pflaster, es war auch die Geburtsstätte der modernen Kriminalistik. Denn es gab viele Morde, darunter auch äußerst brutale Gewaltorgien.

Die Gewalt war der atmende Äther der gesamten Gesellschaft vom Privaten bis in die höchsten Staatsebenen. In der Erziehung stand die Prügelstrafe als Mittel der Wahl. Adel und Militär machten Fragen der Ehre im Duell aus. Und sicherlich prägte der Erste Weltkrieg diese geschundene Generation grundlegend. Die repressive Gewaltanwendung war auch das Mittel der Wahl in der politischen Auseinandersetzung. Erst 1920 scheiterte ein Militärputsch. Da ist es wenig überraschend, dass die Kriminellen gleichfalls recht brutal vorgingen.

Die Goldenen Zwanziger waren schillernde Jahre, aber besonders in Berlin ein verrohter und dunkler Abschnitt der Geschichte. Ein besonders dramatisches Beispiel fand 1921 statt, als der sogenannte Lustmörder umging. Er quälte Frauen zu Tode und verteilte ihre zerstückelten Leichen in der Stadt.

Die Aufklärungsrate stieg dank neuer Methoden. Der Kriminologe Ernst Gennat war Initiator einer neuen Polizeiarbeit, die in Berlin mitentwickelt wurde. Aber es wurden auch juristische Entwicklungen vorangetrieben.

Der Serienmörder vom Falkenhagener See, der Liebespaarmörder: Friedrich Schumann

Der in Spandau 1893 geborene Friedrich Schumann wuchs mit einem Alkoholiker Vater auf, der sich mittels krimineller Machenschaften über Wasser hielt. Bereits mit 16 Jahren tötete Schumann seine Cousine. Er gab einen Unfall vor, doch zwei Jahre später verübte er einen Raubmord und saß neun Monate ein. Im Ersten Weltkrieg wurde er ausgezeichnet, obwohl er offenbar desertierte. Zurück in Berlin schoss er auf einen Förster, verfehlte ihn aber.

Ab 1917 tötete er mehrfach im Jahr, egal ob Zugführer, Gendarmen oder Wanderer. Er machte Hatz auf alles, was da seinen Weg kreuzte. Besondere Aufmerksamkeit erweckte er, als er Liebespaaren auflauerte. Die Männer tötete er sofort, die Frauen wurden misshandelt und anschließend erschossen. Derart errang er auch den Ruf des Liebespaarmörders im Falkenhagener Forst, der sich nördlich der namensgebenden Stadt befand. Das bestialische Vorgehen dauerte zwei Jahre an und die Angst war in dem Wald ein steter Begleiter. Die Morde wirkten sich sogar auf die Immobilienpreise aus, denn einige Anwohnende wollten aus dem Revier des Mörders wegziehen.

Im August 1919 wurde Schumann verwundet. Der Förster Wilhelm Nielbock traf den Serienmörder im abendlichen Wald an und forderte ihn der Rechtfertigung auf. Es kam zu einem Feuergefecht, in dem der Förster Schumann eine Ladung Schrot verpasste, aber schließlich den eigenen Verletzungen erlag. Im Todeskampf gelang es Nielbock aber noch, der Polizei wichtige Hinweise zu geben. Zwei Tage später wurde Schumann bei einem Arztbesuch festgenommen.

Der Prozess gegen den Serienmörder F. Schumann

Friedrich Schumann wurde im Juli 1920 der Prozess gemacht. Die Presse verfolgte den Prozess genau und berichtete mit langen Artikeln über die einzelnen Prozesstage. Einige der schaurigen Geschichten fanden ebenfalls Eingang in die Berichterstattung. Die Ränge bei den Prozessen waren voll besetzt und, wie die Zeitung „Vorwärts“ berichtet, waren vor allem Frauen anwesend. Die Anklage bot elf Morde nebst anderen Delikten auf. Die Verteidigung durch Erich Frey setzte von Anfang an auf Unzurechnungsfähigkeit. Wer eine solche Tat vollbringe, so Frey, wäre nicht im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten. Es wurden Gutachten erstellt, die aber nicht zugelassen wurden. Auch ein Psychologe vor Gericht sagte aus, man müsste Schumann in einer geschlossenen Anstalt unterbringen.

Schumann selbst bestritt aber die Taten, weshalb es auch keiner Unterbringung welcher Art auch immer bedürfe. Das Geständnis der Polizei sei durch Misshandlungen entstanden. Die Wunde, die er durch den Schusswechsel mit dem Förster davontrug, sei durch einen unbekannten Mann im Wald zurückzuführen. Gegenüber dem Arzt machte er Angaben, wonach er auf offener Straße angeschossen worden sei.

Seine Unschuldsbekundungen wogen die Schusswunde und die passende Munition zur ebenfalls vorgefundenen Tatwaffe nicht auf. Im Laufe der Verhandlung verdichteten sich die Beweise, sodass Schumann schließlich die Morde gestand, die man ihm vorwarf.

Vor der Schwurgerichtskammer in Berlin-Moabit schien der Fall eindeutig und das Urteil war vorhersehbar. Schumann war schuldig, daran gab es überhaupt keinen Zweifel. Der Staatsanwalt konnte ihm sechs Morde nachweisen, wofür ihn der Richter Georg Pioletti zum Tode in sechs Fällen und lebenslangem Zuchthaus verurteilte.

Im Anschluss überprüfte die Polizei, ob man ihn auch für weitere Morde verantwortlich machen müsste. Ihm wurde auch der Mord an einem Lehrer namens Paul zur Last gelegt, den er erschossen hatte. Anschließend hatte er das Haus verriegelt und in Flammen gesetzt, in dem sich noch die Tochter des Lehrers befand.

Der am 18. Juli 1920 für schuldig befundene Serienmörder Schumann wartete nun auf seine Strafe. Er selbst gab an, er wolle lieber sterben als in Unsicherheit weiter zu warten. Seine Geduldsprobe dauerte bis zum 27. August 1921. Der Anwalt Erich Frey beantragte Revision und stellte ein Gnadengesuch, über das der preußische Justizministers Hugo am Zehnhoff zu entscheiden hatte.

Des Wartens überdrüssig, zog Schumann selbst den Revisionsantrag und den Gnadenwunsch zurück. In diesem Schreiben erklärte sich Schumann wieder für unschuldig und glaubte des Urteils wegen, ein schlechtes Gewissen bei den Verantwortlichen zu erzeugen. Er erwarte sein Urteil, so schrieb er, da er Selbstmord ausschließe. Für diesen Brief feierten ihn manche Berliner tatsächlich. Ein Wort von einem Mann, so wurde es gesagt.

In der Nacht vor seinem Tod gestand Schumann seinem Anwalt Erich Frey viele weitere Morde. Weitere 25 Menschen, so sein vollumfängliches Geständnis, soll Friedrich Schumann ermordet haben.

Der Tod wartete nun auf ihn selbst. Wie es Sitte war, erhielt der Todeskandidat eine letzte Speise seiner Wahl. Schumann wünschte sich ein Gericht mit Teltower Rübchen, wie Günter Duwe herausfand. Seinen letzten Gang machte der erste deutsche Serienmörder zum Hof des Gefängnisses Plötzensee, wo er am frühen Morgen des 27. August 1920 durch Enthauptung vom Leben zum Tode befördert wurde.

Dr. Dr. Erich Frey | Prominenter Strafverteidiger

Für Frey war der Prozess der Auftakt zu einer steilen Karriere. Er war eine schillernde und doch dubiose Figur der Weimarer Zeit. Als Strafverteidiger war er ein Grenzgänger zwischen der Welt der Justiz und der Welt des Verbrechens. Er erreichte nicht selten eine Prozesseinstellung durch Auflage.

Er verteidigte auch diverse Vertreter der Berliner Ringvereine, welche ausgewiesene Schlitzohren waren. Für die Prozesse an den Mordfällen bekam er von den Beschuldigten zuweilen kein Geld, schließlich endeten sie wie Friedrich Schumann auf dem Schafott. Die Rechnung dieser Leute übernahm der Staat, doch wie heute bekommt der Anwalt dafür recht wenig.

Aber Erich Frey bewohnte eine Villa in Teltow-Seehof. Er war ein Freund teurer Speisen und trug ein Monokel als Ausdruck der Zugehörigkeit einer Elite – das konnte sich ein gewöhnlicher Strafverteidiger nicht leisten.

Erich Frey wurde 1882 in Breslau in eine wohlhabende Familie geboren und studierte Rechtswissenschaften in verschiedenen Städten. Im Jahr 1911 eröffnete er eine Kanzlei am Potsdamer Platz in Berlin. Nebenbei schrieb er auch Bühnenstücke, wovon eines in Berlin 1932 aufgeführt wurde.

Dr. Dr. Erich Frey vertrat die Angeklagten in vielen und teils sensationellen Mordfällen, und daran mangelte es in Berlin nicht. Frey war wohl der bekannteste Strafverteidiger seiner Zeit. Er verhalf dem Angeklagten im Steglitzer Schülermord 1928 zum Freispruch, er erwirkte 1922 eine geringe Bewährungsstrafe für die erste Nackttänzerin Deutschlands, Lola Bach, und er vertrat 1920 den ersten Serienmörder Friedrich Schumann in seinem Prozess.

Den Grund für seine gute Finanzsituation, erklärte mir Günter Duwe: Zu Freys Klienten gehörten auch Angehörige der Ringvereine. Diese Mandate der Ringvereine spülten das große Geld in seine Kasse und das erlaubte ihm eine Villa in Teltow-Seehof. Andererseits vertrat er auch Kriminalbeamte, die im Dienst selbst zur Waffe gegriffen hatten. Herr Duwe nutzte dafür den Ausdruck „Grenzgänger“.

Zu Freys Fällen sollte auch der Mord an dem Jungfaschisten Horst Wessel zählen, den die Nazis zu einem Märtyrer stilisierten. Jedoch gab Frey das Mandat kurzfristig ab. Schon allein deshalb war er den neuen Machthabern 1933 ein Dorn im Auge. Vor allem aber hat er das NS-System offiziell kritisiert, auch schon vor der Machtübernahme.

Als er 1933, kurz nach der Machtergreifung durch die NSDAP, zu seiner Kanzlei am Potsdamer Platz fuhr, nutzte er die öffentlichen Verkehrsmittel. Mit der S-Bahn war man schnell am Anhalter Bahnhof. Dort sprach ihn ein Mann im Trubel des Berufsverkehrs an. Es war ein Beamte der Kriminalpolizei, der an ihn herantrat und ihm nur eine Frage stellte: „Was würden Sie tun, wenn die GeStaPo bei Ihnen vor der Tür stehen würde?“ Die Frage war wohl gewählt, denn sicherlich hatte Frey einen Schatten.

Frey zögerte keinen Augenblick und löste ein Ticket nach Paris, wohin er noch am selben Tag aufbrach. Dort lebte er bis zum Kriegsbeginn 1939 und exilierte nach Chile, wo er 1964 verstarb.

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