Wer schöne Häuser sehen will oder sich mit Architektur beschäftigt, der kommt kaum an Lichterfelde-West vorbei. Dort sticht eine besondere Bauform hervor, die Gustav Lilienthal hervorbrachte.
Gustav Lilienthal, der Name kommt ja schon bekannt vor, war der Bruder des Flugpioniers Otto Lilienthal, zu dessen Errungenschaften auch Gustav beigetragen hat. Bekannter sind seine Häuser, die an Burgen erinnern.
Lilienthals Burgen in der Villenkolonie Lichterfelde-West
Beim Spaziergang durch die Villenkolonie in Lichterfelde-West, unweit des S-Bahnhofs, trifft man auf viele schöne Häuser. Aber in der Paulinenstraße stehen gleich mehrere burgenförmige Domizile nebeneinander – eine Burgenstraße sozusagen.
Die Form: die Fachwerk-Erker, die Zinnen, die turmartigen Fialen und das Ganze garniert mit einem Klecks Gotik – die gesamte Sprache des Baus bekennt sich zum Mittelalter, was das Auge des Mittelalterinteressierten erregt. Gleich am Eck der Paulinenstraße Ecke Weddigenweg steht ein Doppelhaus. Es wurde innerhalb eines Jahres bis 1895 fertiggestellt. Es ist ein typischer Bau von Lilienthal, was sich an den Zinnen und dem Putz darstellt, und durch den fast leuchtenden roten Klinker pointiert ist. Als Bauherrin wird Pauline Wesenberg genannt. Sie hat übrigens nichts mit dem Straßennamen zu tun. Das Haus wurde 1897 und 1952 umgebaut. Auch die nächsten Häuser auf der Straßenseite sind von Gustav Lilienthal, wie man unschwer erkennen kann.
Gustav Lilienthal war der geistige Vater von insgesamt 30 Villen in Lichterfelde, von denen aber nur noch 22 stehen. Und einigen ist ihre Herkunft im Laufe der Jahre verloren gegangen. Alle sind oder waren Burgen-Häuser.
Der Stil wird als „Tudor“- oder eben „Burg-Stil“ bezeichnet. Tudor war das englische Königshaus. Die Architektur ergibt sich dem Geist der Zeit – der sogenannte Historismus. Man wollte die Vergangenheit beleben. Die Fassade der Architektur schickt das Auge ins Mittelalter, bereitet aber die Moderne schon vor. Denn die Häuser zeichnen sich nicht nur durch ihr Aussehen, sondern auch durch die Bauweise aus. Denn hier wurden anspruchsvolle Hohl- und Luftschichten ins Mauerwerk integriert. Die Zweischalenwandkonstruktion ist kostengünstiger. Sowieso setzte man auf Fertigstücke, um die Kosten zu senken. Die Zinnen dienen als Schornsteine der Heizung eine Rolle und Zugbrücken an der Seite erlauben mehr Licht im Untergeschoss, sodass man mehr als die zwei erlaubten Etagen zur Verfügung hat.
Die Moderne vollzieht sich vor allem im Inneren, denn die klassische Raumaufteilung damals wird hier zerbrochen und an die Bedürfnisse der Menschen angepasst. Erschwinglich, praktisch und familienfreundlich, so sollte es sein.
Weitere Lilienthal-Häuser finden sich im Weddigen- und Tietzenweg, in der Martha-, in der Potsdamer -, in der Walter-Linse-, der Baseler -, der Ring- und der Geibelstraße. Auch außerhalb von Berlin baute Lilienthal eine beträchtliche Anzahl von Häusern.
Wer war Gustav Lilienthal?
Die Gebrüder Lilienthal spielten ihre Talente auf vielen Feldern aus und nicht selten als Pioniere. Gustav studierte Architektur, war Erfinder für beispielsweise dem Kinderspielzeug (Steinbaukasten) und Pionier beim Fertighaus-Bau. Er gründete zusammen mit einer Genossenschaft die Baugenossenschaft „Freie Scholle“. Sogar dem Kapitalismus wollte er entsagen und versuchte profitfreies Bauen von Kleinhäusern. Ein solches Haus steht in Tegel. Doch leider zerschellte der soziale Traum in den Klippen der Wirtschaftlichkeit.
Diese Häuser protzen bei schmalem Taler. Es war damals aber vor allem bezahlbares und originelles Wohnen für Familien.
Sein Baustil, den er selbst bewohnte, wurde nicht nur beäugt. Er wohnte zunächst in der Tietzen- und später in der Marthastraße. Die Nachbarn der Häuser neckten den Bauherrn offenbar, weshalb er mit einem Schild am Haus gegenhielt. Darauf stand:
„Wer nicht kann halten Maß, das Bauen lieber lass.
Schon dieser kleine Zwickel, kost‘ 100.000 Nickel.“
Ein Zwickel ist der mehreckige Zugang eines runderen Gebäudes, also eine Art Portal. Und der Wert von 100.000 Nickel entspricht, was heute etwa 50.000 Euro sind. Sinngemäß: Dieser kleine Anbau kostet schon 50K!
Gustav Lilienthal starb am 1. Februar 1933 und wurde auf dem Friedhof Lichterfelde zu Grabe getragen. Seit 1984 ist es ein Ehrengrab der Stadt Berlin.
Wo ist die Burgenstraße (also Paulinenstraße)?
- Paulinenstraße 26
- 12205 Berlin-Lichterfelde
- Datenbank Denkmalamt